Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Blog trägt den Titel „unverbissen vegetarisch“ und viele fühlen sich von dieser Überschrift angesprochen. Das sehe ich an den Leserzahlen, für die ich viel weniger tun muss als in meinen anderen Blogs.
Intuitiv weiß man halt gleich, was gemeint ist: hier werden Fleisch-Essende und Vegetarier nicht als „Mörder“ beschimpft. Hier gehts nicht darum, wie man das letzte Fitzel Tierprodukt im Produktionsprozess von Essig meidet und auch nicht darum, ob man sich noch „Veganer“ nennen darf, wenn man bei Omas Geburtstag mal einen nicht-veganen Kuchen isst. Dieses Blog will Massentierhaltungs-kritische Noch-Fleisch-Essende genauso ansprechen wie klassische Vegetarier – und sowieso alle, die in keine Schublade passen.
Ich hab‘ nie ein Hehl daraus gemacht, dass mir Fleisch immer geschmeckt hat. Grillen war mir die reine Freude und ich hatte nie ein Problem damit, Geflügel „im Ganzen“ selber zu verarbeiten. Um als echter Fleisch-Fan den Ausstieg aus der Fleischwirtschaft überhaupt zu wagen, hab‘ ich mir vom Start weg immer zugestanden: Sollte mich die Lust auf Fleisch so sehr umtreiben, dass ich anfange, ständig dran zu denken – ja verdammt nochmal, dann mach‘ ich eben eine Ausnahme und kaufe mal ein teures Bio-Steak! Oder ich bestell‘ mir ein Bresse-Huhn, das so glücklich gelebt hat wie kein anderes „Nutz-Huhn“ dieser Welt.
Des einen Lust, des anderen Leid
Weihnachten wäre so ein Ausnahme-Termin in Sachen Fleisch gewesen, doch sträubt sich mittlerweile etwas in mir, ein Fest mittels „rituellem Fleischverzehr“ zu feiern. Meine fleischlichen Ausnahmen sind recht selten geworden und orientieren sich am konkreten, sehr persönlichen, im Einzelfall schier nicht abweisbaren Gelüsten. Als letztes hab‘ ich mir im Sommer mal 100 Gramm original-italienische Mortadella gekauft – es gibt keine pflanzliche Alternative, die auch nur in die Nähe dieses Geschmacks kommt! Ok, ich hab’s genossen, aber damit ist es jetzt auch wieder für lange Zeit gut in Sachen Mortadella. Soooo toll war’s nun auch wieder nicht…
Ich fühle mich nicht „sündhaft“, wenn ich sowas mache, denn ich muss niemandem gefallen oder Rechenschaft ablegen. Dennoch frag‘ ich mich dann schon, während ich die unverwechselbare italienische Wurst-Spezialität mit meiner „Sondererlaubnis“ genieße: ist DIESER GENUSS denn nun das Tierleid, das damit verbunden ist, wirklich wert?
Nein, natürlich nicht, würden alle erklärten Tierrechtler und Veganer mit einiger Empörung sagen – und sie haben sogar recht! Allerdings muss diese Bewertung jeder Mensch für sich selber vornehmen, und zwar immer wieder neu, wenn man Fleisch eigentlich mag.
Junge Menschen übernehmen locker und gerne ganze Verhaltensprogramme fürs „richtige Leben“ von der jeweiligen Szene, mit der sie sich identifizieren. Radikale Aussagen und beeindruckend konsequentes Verhalten fällt so nicht schwer und man hat auch gleich noch eine schöne Abgrenzung zum Rest der Welt, der „noch nicht so weit ist“. Wär‘ ich Mtte zwanzig, wär ich voll dabei! :-)
Der große Rest der Welt tut sich nicht so leicht mit der Idee, aus ethischen Gründen auf alle Tierprodukte zu verzichten. Ganz einfach, weil die PRAXIS eine erschreckend großformatige Umstellung erfordern würde. Dass man den Ausstieg aus der Fleischwirtschaft auch schrittweise – und statt „radikal“ nur „soweit individuell möglich“ – umsetzen kann, wird von der Veggie-Szene nur ausnahmsweise vermittelt. Aber gerade DA, beim Verändern der Kosumgewohnheiten der noch immer und vermutlich auch weiterhin „omnivoren“ Mehrheit liegt das größte Potenzial an tatsächlicher Veränderungsmacht.
Empathie, die vor dem kalten Buffet nicht schwindet
Als eine, die sich gefühlsmäßig auf beiden Seiten der „Front“ heimisch fühlt, kann ich davon berichten, wie es funktioniert, dass man – in Abwägung zwischen Genießen (italienische Mortadella!) und Tierleid (?) – immer leichter auf den (meist gar nicht so spektakulären) Genuss verzichtet.
Das Fragezeichen hinter dem Tierleid im letzten Absatz ist schon ein Hinweis: Die Wurst steht uns im Gedächtnis, wir erinnern Aussehen, Geruch, Geschmack. Und kaum etwas trennt uns davon, diese Erfahrungen zu „überprüfen“ – wir KENNEN diese Wurst in und auswendig, sié ist uns nah und vertraut.
Nicht so das Schwein, das für sie sterben musste. In der Regel kennen wir Schweine nur als Spar- und Glücksschwein, von Bildern kleinbäuerlicher Idyllen früherer Zeiten, aus Märchen und Comics, vielleicht auch aus ein paar schlimmen Videos aus der Massentierhaltung und deren Schlachthäusern. Hast du aber schon mal ein Schwein gestreichelt? Oder lange genug frei laufenden Schweinen zugeschaut, um ihren Umgang miteinander mitzukriegen?
Die Tiere, die wir vor der menschlichen „Vernutzung“ gerne geschützt sähen, kennen wir Städter in der Regel nicht persönlich. Wir haben keine eigene lebendige Erfahrung, die uns auf der Gefühlsebene (!) sagen könnte, ob und inwieweit Kühe, Schweine, Gänse oder Hühner Wesen sind, deren Leid uns angeht. Wir können versuchen, „aus dem Kopf“ einen ethisch korrekten Umgang mit Tieren zu kreieren, können die bekannte „Haustier-Liebe“ als Vorbild nehmen – und doch wirkt das Schnitzel vom Schwein immer noch SEHR unproblematisch, verglichen mit der Idee, den Oberschenkel der eigenen Katze als Grill-Keule zuzubereiten. Oder etwa nicht?
Kurzum: Empathie mit Tieren, die vor dem kalten Buffet nicht die Segel streicht, setzt voraus, dass wir ihnen begegnen, uns mit ihnen befassen, sie kennen lernen. Nur was man liebt, kann man auf Dauer schützen – erst recht, wenns um den Schutz vor der eigenen Gier und Bequemlichkeit geht.
Lass dich berühren!
Da wir aber nicht alle zu Hobby-Schweinehaltern werden können, müssen wir eben Medien nutzen. Texte, Bilder, Filme, Geschichten – nicht nur jene vom grausamen Ende im Schlachthof oder von den in Käfigen eingezwängten Mutter-Schweinen, sondern auch solche, die uns das „ganz normale Schwein“ in seinem artgerechten Leben zeigen. Während meiner veganen Schnupperwochen Anfang des Jahres hat mich ein Film über frei lebende Rinder sehr berührt, der die Tiere in ihrem sozial komplexen Miteinander zeigte. Die Tiere in der leidvollen Massentierhaltung sind ja nur noch Schwundformen, Schatten ihrer selbst! (Und erst das Ur-Rind, von dem sie alle abstammen: was für wunderbare Tiere!).
Zu diesem Artikel hat mich allerdings eine andere Geschichte inspiriert: die von „Fleckel“, dem Schwein mit dem schwarzen Punkt, dessen kurzes Massentierhaltungsleben die Autorin Daniela Böhm auf eine Art berichtet, die das Herz berührt.
Es reicht nicht, sich nur EINMAL über all dieses Tierleid zu informieren. Zwar WISSEN wir dann, was geschieht, aber emotional verblassen diese Eindrücke im Lauf der Zeit – und die Mortadella ist vergleichsweise immer ganz nah.
Schauen wir also weiter hin, immer wieder: auf das Schöne und auf das Schreckliche, das wir dem Schönen antun. So verankern wir die Veränderung nicht nur im Kopf, sondern im GANZEN, das wir sind.
Der Appetit auf Fleisch lässt dann ganz von selber nach.
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Fotos: ©Markus Walti, ©www.Rudis-Fotoseite.de, ©Miroslaw / pixelio.de
22. Dezember 2012 um 18:39
Ich esse seit 1987 keine Tiere mehr und hatte praktisch von Anfang an keine starken Gelüste danach, im Gegenteil. Es ist einfach eine Sache der Gewöhnung. Allerdings finde ich essentiell, dass gutes vegetarisches Essen der Ersatz ist, nicht „Fleischgerichte ohne Fleisch“, was in nicht wenigen Gaststätten/Restaurants als angeboten wird, falls ich frage, ob ich etwas vegetarisches haben könne, da die Speisekarte nur Fleischgerichte anbietet (solche Gaststätten meide ich, aber das geht nicht immer).
Was den Kontakt mit den Tieren angeht und der daraus resultierenden größeren Empathie: Das hängt stark ab vom Menschen, viele lässt das Leid der Tiere kalt, wie ich erleben musste. Ich glaube, es liegt in der Fähigkeit des Menschen, alles als „Sache“ betrachten zu können, auch Mitmenschen (was Menschen anderen Menschen grausames antun, dürfte jeden bekannt sein). Mein Vater hatte in seiner Kindheit ein Ferkel, das mit ihm spazieren ging und mit dem er spielte. Seit es geschlachtet wurde, hatte er eine (lebenslange) Abneigung gegen Fleisch. Einer meiner Nachbarn hatte nicht das geringste Problem, Hasen in engen Käfigen großzuziehen, zu erschlagen, das Fell abzuziehen, auszunehmen, zu kochen und danach zu verspeisen. Dass jemand bei Filmen aus der Massentierhaltung und -Schlachtung im riesigen Maßstab emotionslos bleibt, ist weniger wahrscheinlich, jedoch lässt auch dies viele Menschen kalt, andernfalls gäbe es dies nicht.