Seit letzten Oktober lebe ich „unverbissen vegetarisch“. Was das für mich persönlich heißt, wusste ich beim Start noch nicht so genau. Mein Ansatz war (und ist) eher (selbst-)beobachtend, forschend und experimentierend. Ich hatte nicht vor, in irgend einer Weise die Ernährungsheldin zu geben. Trotz der frisch aufgeladenen Moral-Batterien durch „Tiere essen“ wollte ich mir keinen Stress machen, sondern: Probieren, was geht – verwerfen, was zu sehr nervt. Das war das ganze Programm. Nicht mal Fleisch wollte ich mir total verbieten, wenn’s mich danach gelüsten sollte (deshalb „flexitarisch“ im Untertitel…).
Dass ich heute über „Fleischeslust“ schreibe, verdankt sich einer Beobachtung, die ich nahezu überall mache, wo das Thema Fleischverzicht/Vegetariertum auch nur beiläufig aufkommt: Wenn’s nicht gerade ein Veggie-Forum ist, reagieren garantiert ein paar Leute recht aggressiv und betonen ungefragt, dass ihnen ihr Steak über alles geht und sie sich das von niemandem nehmen lassen.
Huch, was für eine Emotionalität zur Verteidigung eines gegrillten Fleischlappens! Ich gehörte selbst zu den Fans eines guten, medium gebratenen Steaks vom argentinischen Freilandrind, aber die Aggressivität der Reaktionen lässt mehr Gründe vermuten als nur das Eintreten für den Erhalt bestimmter Geschmackserlebnisse.
Ist Fleisch essen eine Sucht?
Haben etwa jene recht, die meinen, Fleisch essen sei eine Sucht? Dagegen spricht meine persönliche Erfahrung, die ich seit letztem Herbst mache: Es ist gar nicht schwer, auf Fleisch zu verzichten. Die Lust darauf verschwindet schnell, wenn man den Eiweiß-Hunger auf andere Art wohlschmeckend stillt.
Dennoch: In über 10 Monaten hab‘ ich etwa viermal Fleisch gegessen. Einmal, um eine liebe Gastgeberin nicht zu brüskieren, dreimal, um „in Erinnerung eines Genusses“ auszuprobieren, ob mir so ein früher geliebtes Fleischgericht nicht jetzt besonders TOLL munden würde. Momente, in denen ich mir „was Besonderes gönnen“ wollte, etwa so, wie manche Abnehmwilligen gelegentlich „verbotenes Süßzeug“ zu sich nehmen.
Aber siehe da – und DESHALB schreib ich dieses Posting: Es hat geschmacklich nicht mehr gefetzt! Eher im Gegenteil, es kam mir irgendwie platt und banal vor – und keineswegs so schmackhaft und erfüllend, wie ich diese Fleischgerichte in Erinnerung hatte.
Umso verrückter kommen mir jetzt die kämpferischen Kommentare militanter „Carnivoren“ vor. Es gibt so viele gute Gründe, den Fleischkonsum zumindest zu verringern, dass solcher Einsatz tatsächlich wirkt, als würden Süchtige ihren Stoff verteidigen. Dabei ist Fleisch essen nur Tradition und Gewohnheit, ohne großes Leiden änderbar.
Wie ich am eigenen Beispiel feststellen konnte:
Die Lust auf Fleisch verliert sich!
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25. August 2011 um 09:52
Hallo,
das klingt sehr interessant, was du da schreibst. Also vor allem, dass, obwohl du so undogmatisch rangegangen bist, Fleisch für dich zu etwas geworden ist, auf das du ‚verzichten‘ musst oder willst, sondern dass es geschmacklich nicht mehr ‚über‘ allem anderen steht. Ich selber wurde Vegetarier aus ethischen Gründen und futterte anfangs auch ganz viel „Fleischersatz“-Sachen, weil ich den Geschmack schon irgendwie vermisst habe. Habe trotzdem immer dagegen angekämpft, weil ich das als Schmach empfunden hätte, v.a. gegenüber der Eltern und dem Umfeld, deren Häme ich mich nicht aussetzen wollte.
Daher ist dein Artikel ein guter Erkenntnisgewinn dahingehend, dass sich durch die eventuell neu kennengelernten Geschmäcker sich die alten Präferenzen soweit verschieben können, und das ja auch in recht kurzer Zeit.
Daher auf jeden Fall herzlichen Glückwunsch bzw. alles Gute auf deinem Weg.
viele Grüße
Frank
25. August 2011 um 10:52
Hi Fank, danke für deinen Kommentar!
Was mich immer wieder wundert: Vegetarier und sogar auch Veganer meinen oft, nicht zugeben zu dürfen, dass ihnen Fleischgerichte durchaus schmecken würden.
Dabei ist es total normal, fastalles zu mögen, womit man aufgewachsen ist – deshalb können auch erwachsene Kinder von Vegetariern meist nicht verstehen, warum die Leute so am Fleisch hängen. Und wer „an Fleischtöpfen“ groß geworden ist, schafft es allermeist nicht, wenn er/sie ehrlich ist, den Geschmack der althergebrachten Fleischgerichte NICHT zu mögen, bzw. sich gar davor zu ekeln.
Niemand, der aus honorigen ethischen Gründen aus dem Fleischkonsum aussteigt, ändert doch dadurch schon gleich sein Geschmackserleben! Wir gebieten nicht mit dem Verstand über die Sinne – so zu tun, als ob. bedeutet extremste Selbstverleugnung – und glaubwürdig kommt man auch nicht wirklich rüber!
Es gibt auch nicht den geringsten Grund zu irgend einer HÄME, wenn ein Veggie zugibt, das eine oder andere Fleischgericht zu vermissen, bzw. „an sich“ durchaus zu mögen: auf etwas aus ethischen Gründen (Tierleid, Umwelt) zu verzichten, das man MAG und GERNE ISST, ist doch noch viel ehrenwerter und heldenhafter als der Verzicht auf etwas, das einem eh nicht viel bedeutet.
Was soll also das Getue??
25. September 2011 um 16:10
Hallo Claudia,
ja, ich denke auch dass Bücher wie die von Jonathan Safran Foer oder Karin Duve dazu beitragen, dass sich mehr und mehr Menschen Gedanken über den Fleischkonsum machen.
Ich finde deine unverbissene Haltung absolut okay.
Klar – vegan zu sein,wäre auch für mich, moralisch gesehen ideal – allein ich scheitere am Alltag. Und ich habe null Lust all die Klischees des Spielverderbers in meinem Familien- und Freundeskreis zu bedienen sondern versuche so gelassen wie möglich zu sagen:“ nee Leute , ich esse kein Fleisch. Nein, auch keinen Fisch.“ Ich WILL auch nicht jedes Mal über mein Essen diskutieren! Ich vermisse nichts, tendiere oft zu veganen Rezepten und kann das auch nur empfehlen – der Machtkrieg um die “ reine Lehre“ geht mir aber ab und an sehr auf den Geist.
5. Dezember 2011 um 14:57
Seit ich deinen Blog vor einigen Wochen entdeckt habe, vergrabe ich mich nur zugerne in deinen Berichten über Seitan-Experimente und das ganze „Fleisch“-Zeugs. Wirklich toll, mein Glutenpäckchen wartet hier ausprobiert zu werden. ;)