Drei Jahre ist es nun her, dass ich aus der Fleischwirtschaft ausgestiegen bin und seit den „veganen Schnupperwochen“ Anfang 2012 meide ich auch Milchprodukte. Mein übertriebener Käsehunger ist Geschichte, selbst „mal wieder probieren“ bei einem Freund brachte ihn mir nicht zurück – gut so! Das Erforschen der Fleischalternativen Seitan, Sojafleisch und Tofu eröffnete mir eine breite Palette neuer Genüsse, die mich – eigentlich – nichts vermissen lässt.
Eigentlich? Ja doch, da ist etwas, das ich vermisse – und beim Lesen von Christianes Rückschau-Artikel Der Weg ist das Ziel ist es mir so richtig bewusst geworden. Sie schreibt:
Das Thema Essen beschäftigt mich also immer noch sehr. Zu sehr. Manchmal wünsche ich mir die Sorglosigkeit von früher zurück, als Essen eher eine Nebensache war.
Jetzt geht es ihr nämlich so:
Unbestreitbar ist, dass mich das Thema Essen mehr beschäftigt als früher. Fast könnte man sagen, es ist zum Mittelpunkt meines täglichen Lebens geworden, während es früher eher nebensächlich war, da wollte ich einfach nur satt werden und es sollte schmecken. …
Die Flut an neuen Rezepten bei mir zu Hause nimmt kein Ende. Selten habe ich in diesen 1 3/4 Jahren dasselbe Gericht zweimal gekocht. Zu sehr reizt es mich, was Neues auszuprobieren. Es ist erstaunlich, wieviele Variationsmöglichkeiten die pflanzliche Palette an Lebensmitteln bietet.
Tja, das kenne ich gut! Nur mit dem Unterschied, dass ich des Öfteren der ganzen Kocherei müde bin. Kochen ist NICHT mein Hobby und ich hoffe sogar, dass es das auf die alten Tage nicht noch werden wird. Denn dann sähe ich schwarz für meine Figur, die schon jetzt – vegan hin oder her – mit Kleidergröße 44 am oberen Ende meines persönlichen Limits kratzt.
Ja, es macht Spass, neue Rezepte auszuprobieren und sich von den tollen Veggie-Blogs inspirieren zu lassen. Dass ich Gluten und jede Menge Sojasteaks, Medaillons und Schnetzel als Vorrat halte und unter Zukauf von Gemüse jederzeit eine komplette Mahlzeit produzieren kann, finde ich auch toll – nur mache ich das nicht mehr soooo oft. Weil es eben doch mehr Zeit braucht, als sich eben mal ein Würstchen heiß zu machen oder eine Scheibe Brot mit Käse zu überbacken, wie ich das in meinen „omnivoren“ Jahrzehnten praktizierte. Und so lande ich immer öfter bei veganen Schnellgerichten mit vorgefertigten Produkten, jetzt halt mit veganen Würstchen und veganem Käse, der sich zum Glück verbessert hat.
Zu faul zum Kochen…
Wenn ich heute einen Supermarkt betrete, fällt mir mehr denn je auf, wie süchtig unsere Welt auf Tierprodukte ist. Ellenlange Regale mit Käse und Milchprodukten neben ebenso langen Tiefkühlstrecken mit vornehmlich fleisch-lastigen Gerichten und Fisch – ein wenig neidisch bin ich da schon auf dieses Mega-Angebot, das es einfach macht, sich „auf die Schnelle“ zu ernähren. Für Veggies gibt es meist nicht mal Räuchertofu, für mich ein unverzichtbares Basic, das ich als Ersatz für Schinken, Speck und Kassler in vielen Gerichten verwende.
Nun lebe ich in Berlin und sogar nicht weit von einem kürzlich eröffneten veganen „Vollsortimenter“: Im Veganz gibt es alles, was das Veggie-Herz begehrt, auch vielerlei vegane Würstchen, Käse, Pizza, Fertig-Seitan, sowie Halb- und Ganz-Fertiggerichte. Allerdings: das kostet gefühlt alles doppelt und dreimal so viel wie Ähnliches im Normalkost-Sektor. Da hab‘ ich dann schon gewisse Hemmungen und leiste mir das nur ab und zu – schließlich kann ich doch selber kochen, sogar so, dass mir das Ergebnis besser schmeckt als jedes Fertiggericht.
ABER… ich merke halt, dass ich auch kochfaul bin. Das Buch „Unverbissen vegetarisch“ zu schreiben und dafür Alltagsrezepte mit mehr und weniger Aufwand nochmal zu testen und „buchfertig“ aufzubereiten hat mich Monate-lang motiviert. Es gibt auch immer wieder neue Inspirationen, wie etwa der Versuch, Calamari und andere Tintenfisch-Gerichte zu veganisieren, die mich zum selber probieren bewegen. Diese Rezepte sind aber gleich auch ein sehr gutes Beispiel für das Dilemma: man beachte den Aufwand im Vergleich zu „ich hau mir mal ein paar TK-Calamari in die Pfanne“.
Veganer retten die Alltags-Kochkunst
Dass mit der veganen Ernährung faktisch ein gewisser Zwang zum selber kochen bzw. kochen lernen einher geht, hab‘ ich früh bemerkt und finde das alles in allem SEHR GUT SO. Denn zwar boomen in den letzten Jahren die Koch-Shows, doch das selber Kochen ist gleichzeitig aus dem Alltag vieler Menschen verschwunden, bzw. wird gar nicht erst erlernt.
In der TV-Werbung ist gut zu sehen, was heute als „Kochen“ durchgeht: Fleisch, Fisch oder manchmal auch Gemüse in eine Ofenschale oder Pfanne geben, Wasser und Fertigmischung drüber, bisschen köcheln oder schmoren lassen – das war’s! Viele greifen auch gleich zum Fertiggericht, das man nurmehr erhitzen muss. Man würzt mit fertigen Mischungen „italienisch“ und belegt, falls jemand noch backen mag, einen Fertigteig. Alles muss schnell gehen, denn wer hat schon Zeit für Koch-Orgien, die länger als 30 Minuten dauern?
Vegane Ernährung und deren noch ausgesprochen geringe Unterstützung durch normale Supermärkte ist so gesehen ein Segen: Junge Menschen – sogar Männer! – lernen im Do-it-Yourself-Stil richtig gut kochen. Sie erleben es als Akt des Widerstands gegen das herrschende Fleischwirtschafts-Regime, nicht als lästige Pflicht, die von anderen Beschäftigungen abhält. Und so retten sie die Alltags-Kochkunst, werden unabhängig von den Fertiggericht-Produzenten und gewinnen eigene Macht über die Zutaten und den „Gesundheitsgrad“ der Nahrung. Manche entdecken so ihr kreatives Talent und werden Stars der neuen veganen Küche, andere folgen der Fit-for-Fun-Schiene und nutzen den veganen Impuls, um allgemein gesünder, fitter, stärker zu werden – Kochen ist so auch im Alltag etwas „männlicher“ geworden, ebenfalls ein guter Trend!
Neue Unternehmen entstehen
Da es aber auch Menschen wie mich gibt, die auf die Dauer schon gerne eine vegane Angebotspalette hätten, die das Essen „schnell und einfach“ macht, sind viele neue kleine Hersteller entstanden, die vegane Lebensmittel entwickeln und vertreiben. Denn „Wurst selber machen“ ist halt nicht das, was viele auf Dauer in den eigenen Alltag integrieren wollen oder können. Da greift man lieber zu den mittlerweile sehr schmackhaften Fertigwürsten veganer Hersteller.
Dass ich mit der gewissen Kochfaulheit nicht alleine bin, sehe ich z.B. daran, wie viele hier den Link unter dem Artikel über Mock Duck, die „falsche Ente“ aus der Dose nutzen. Bei mir stehen diese Dosen immer im Regal, die Konsistenz dieses Fertig-Seitans ist einfach unübertroffen! So kriege ich das nie hin (würde aber schon gerne wissen, wie die das machen!).
Heute ist das kürzlich bestellte „Braunalgenpulver“ eingetroffen. Damit werde ich „a la Fisch-Rezepte“ ausprobieren. Nachdem ich kürzlich so erfolgreich Algen für maritime Nudelgerichte entdeckte, bin ich da sehr gespannt! Zum Glück hab‘ ich für diesen Erstversuch „Instant Algen“ genutzt, die man nicht erst einweichen muss. Denn die normalen Trockenalgen, die ich mir daraufhin anschaffte, die stehen jetzt halt in der Dose so rum….
23. August 2013 um 10:58
Ja, Kochen „müssen“ ist eine Begleiterscheinung des Vegan-Werdens. Ich war selbst Zeit meines Lebens eher ein Kochmuffel. Im Moment habe ich das Glück, dass es mir durch das Ausprobieren der vielen veganen Rezepte Spaß macht. Aber auch mir wird es unter der Woche nach der Arbeit abends manchmal zu viel.
Allerdings habe ich die Hoffnung, dass das vegane Angebot (sei es in Restaurants, in Supermärkten oder in Kantinen) zunimmt, je mehr die Nachfrage danach steigt. Und dann haben selbst Kochmuffel keine Ausrede mehr, nicht vegan zu werden. :-)
Aber wie Du auch schreibst: Ganz schlecht ist es gar nicht, wenn Leute sich darauf besinnen, wieder öfter selbst zu kochen und eben nicht auf Fertigprodukte zurückzugreifen. Gesünder dürfte es sein.
23. August 2013 um 11:06
Mir ging es in den ersten Jahren auch so. Mittlerweile bin ich 7 Jahre dabei und ich bin empfinde es als Entspannung, nicht mehr jedes Regal im Supermarkt durchqueren zu müssen. Ich koche jetzt gerne und weiß so ungefähr, wo was drin ist. Habe ich keine Lust zu kochen, kenne ich mittlerweile viele schnelle Gerichte. Ich koche uberwiegend ohne Spezialzutaten. Das ist nicht so teuer und ich habe keinen Stress. Vielleicht ist es einfach eine Frage der Zeit. :)
23. August 2013 um 11:35
Vielleicht sollte ich einen regelmäßigen „Haushaltstag“ einführen, an dem ich dann auf Vorrat koche. Z.B. den Seitan in Kochbeuteln, die ich dann einzeln einfrieren kann. Auch Tofu- und andere Burger und Bratlinge lassen sich gut auf Vorrat machen…
@Stephie: mach doch in deinem Blog auch eine Kategorie „Schnellgerichte“ oder so… dann muss man nicht erst die Rezepte einzeln sichten, um den Zeitaufwand abzuschätzen. Wär super!
23. August 2013 um 18:46
Ich habe früher nicht gerne gekocht. Irgendwann im Laufe der Jahre wiederholten sich die Gerichte immer wieder. Ich konnte sie ja auswendig. Seit ich vegan lebe, liebe ich das Kochen. Es ist so wunderbar, auf den Markt zu gehen und regionale Produkte zu kaufen. Nie in meinem Leben (ich werde bald 60) habe ich so viel Gemüse und frische Kräuter verwendet. Bisher ist mir das nicht zu viel geworden. Ganz im Gegenteil! Ich freue mich auf die drei Tage in der Woche, in der ich kochen kann. Wenn Du in Berlin lebst, solltest Du vielleicht mal einen kleinen Abstecher zu Dr.Pogo machen. Dieses Kollektiv kann natürlich nicht das Angebot bieten, wie ich es im Veganz vorfinde. Aber es ist ein liebenswerter Laden, dessen junge Inhaber mit Herzblut bei der Sache sind.
Liebe Grüße von Elvira
27. August 2013 um 10:45
Hallo Claudia,
Mir wurde während meiner Ernährungsberater Ausbildung erst bewusst, wieviel Mist ich jahrelang in mich hinein gestopft hatte. Seit dem lebe ich vegan und habe es nie bereut. Vielen Dank für den schönen Artikel und den Einblick in dein Leben
Gruß
Florian
27. August 2013 um 13:18
@Claudia: Das ist eine gute Idee. Ehrlich gesagt hatte ich die Kategorie mal und habe sie beim Umstrukturieren wieder rausgenommen. Aber das wird gleich wieder geändert, danke für den Tipp :)
@Florian: Ich finde es immer wieder motivierend, wenn Leute „aus der Branche“ anfangen, sich vegan zu ernähren. Wenn ein Ernährungsberater auf die Idee kommt, zieht das bei den Leuten immer mehr, wie wenn Otto Normal sich vegan ernährt. Denn ein Ernährungsberater muss es ja eigentlich wissen ;)
24. Oktober 2016 um 12:16
Hi Stephie,
schön zu sehen, dass die vegane Lebensweise immer mehr Einzug findet und auch akzeptiert wird. Einen teil meiner Freunde habe ich auch schon überredet für ein paar Wochen sich nur vegan zu ernähren ;) Bin fest überzeugt, dass sie nicht mehr zurück wollen nach dem Veganismus :D
In meiner Ausbildung gab es auch einen Schwerpunkt zur veganen Ernährung, was mir sehr geholfen hat auch das Wissenschaftliche in betracht zu ziehen
Liebe Grüße