Am 10.August 2010 hatte ich mir das Buch „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer bestellt. Eine lange Reihe Fleischskandale hatten mich schon zuvor einigermaßen kritisch gestimmt, doch dachte ich immer noch: Ich esse ja gar nicht soviel Fleisch. Was kann ich schon bewegen, wenn ich mich da kasteie und das Wenige weglasse?
Das Buch (und weitere Infos, die ich zeitgleich an mich heran ließ) gab mir dann den Motivationsschub, den ich mir erwartet hatte. Soviel Grausamkeit, soviel Tierleid, dazu unsägliche Umweltverseuchungen und übelste Folgen der Fleischwirtschaft für die dritte Welt: Der Zorn reichte aus für den Ausstieg aus dem Fleischkonsum. Es war Ende August, also genau zwei Jahre her.
Man isst mehr Fleisch als man denkt
Jetzt merkte ich, dass ich doch MEHR Fleisch gegessen hatte als gedacht: die Salami auf der Pizza, das häufige Würstchen am Imbiss-Stand, zuhause doch sehr oft Schinken und durchwachsener Speck als geschmacksgebende Beigabe zu vielerlei Gerichten, die Kalbsleberwurst als schneller Brotaufstrich.
Was statt dessen? Käse wurde mein Fleisch, der Konsum von Milchprodukten stieg massiv an. Als ich im Oktober 2010 dieses Blog begann, schrieb ich gleich im zweiten Posting „Warum nicht gleich vegan?“, dass ich mir eine so „extreme“ Veränderung der Ernährungsgewohnheiten nicht zutraue – und dass ich das „vegane“ gern der „kämpferischen Jugend“ überlasse.
Hätte mir damals nicht träumen lassen, dass ein Alltagsgericht für mich heute so aussieht:
Durch die vermehrte Lektüre anderer Blogs kam ich schon bald darauf, dass ein hoher Konsum von Milchprodukten als „Fleischersatz“ nicht die Lösung sein kann. Ich stieg auf Sojamilch um – bei bisher 30 Litern Milch pro Monat ein großer Schritt. Für Käse suchte ich vegane Alternativen, doch die ersten Versuche zeigten: das alleine kann es auch nicht sein. Nur wenige schmeckten mir, alle sind recht teuer – und mit der „Verlaufen“ hapert es auch sehr.
Fleisch und Fleisch-Alternativen
Zum Glück war ich damals auch schon dabei, mir Fleischalternativen zu erschließen. Die Entdeckung von Seitan begeisterte mich! Und das, was dem Seitan fehlt, fand ich später im Soja-Fleisch: faserig wie Tierfleisch, als Schnetzel, Granulat, Medaillon und Schnitzel für nahezu alle traditionellen Fleischgerichte verwendbar.
Nun ja, fast: das „medium gebratene Steak“, am besten vom frei laufenden Bio-Rind, ist durch keine pflanzliche Alternative zu ersetzen! Da ich das immer sehr gerne, wenn auch selten gegessen hatte, gestattete ich mir Ausnahmen: Sollte der Drang groß werden, würde ich mir ein solches Steak gönnen. Besser als eine Askese mit Verzichtsgefühlen, die mir auf Dauer meine Motivation unterminiert.
Und ja, in den zwei Jahren hab‘ ich ca. 5 solche „Ausnahmen“ gemacht. Jedes Mal befriedigte es mich weniger – und das letzte Steak in diesem Frühjahr vermittelte mir ein ganz eigenartiges Erlebnis: Da ich mittlerweile an Fleischalternativen gewöhnt war, schmeckte ich auf einmal heraus, was Tierfleisch geschmacklich von Pflanzenfleisch unterscheidet: ein Hauch von Harnsäure…. Vielleicht hab‘ ich mir das ja eingebildet, aber egal: Jetzt hab ich definitiv keine Lust mehr auf „Fleischlappen“!
Die Gewöhnung an Seitan und Soja hatte aber auch noch einen weiteren Effekt: Käse & Co. wurden mehr und mehr entbehrlich, denn meinen Eiweiß-Bedarf deckte ich ja nun anders. Für den restlichen Käse-Appetit tut’s ab und an ein NoMuh-Käse – für mich das beste, was die vegane Käse-Palette zu bieten hat.
Ich entdeckte Hefeschmelz zum Überbacken, lernte, wie einfach und wohlschmeckend pflanzliche Mayonnaise ist und begeisterte mich für richtig „original“ schmeckende vegane Leberwurst. Nach und nach verabschiedeten sich die Milchprodukte aus meinem Speiseplan. Durchaus schubweise, denn mein erster „Ausstieg aus der Milch“ war nicht wirklich nachhaltig gewesen: es brauchte wiederholte Ansätze, um mich mit dem „anderen Drink“ dauerhaft zu befreunden.
Motivationshelfer
Einen wichtigen Motivationsschub in dieser Hinsicht vermittelten mir die „veganen Schnupperwochen“ zu Beginn dieses Jahres. Und dass ein Verlag mich im November 2011 überredete, ein Buch über meine Erfahrungen zu schreiben, trug auch dazu bei, dass ich weiter dran blieb: immer mal wieder Neues ausprobieren, die Fleischalternativen immer besser zubereiten, nach und nach auch andere, in der Szene „gängige“ Dinge ausprobieren wie „grüne Smoothies“ und Gerichte mit interessanten Getreide-Sorten.
So lebe ich mittlerweile „fast vegan“ – obwohl diese Schubladen für mich eigentlich nie richtig passen, denn nach wie vor gestatte ich mir Ausnahmen. Die könnten noch weniger werden, würde es mehr vegane Fertig- und Halbfertig-Gerichte und Lebensmittel im normalen Handel und in der normalen Gastronomie geben. Zwar bestelle ich heut regelmäßig Pakete beim Veganversand, doch ab und an gibt es schon mal die Situation, dass ich keine Lust auf groß Kochen habe – und so wurden es dann halt mal wieder Pellkartoffeln mit Kräuterquark. Weil meine „Lädchen“ in der Nähe verdammt nochmal immer noch keinen Tofu und kein Soja-Joghurt führen…
Trotzdem: gegenüber dem Zustand vor zwei Jahren (viel Fleischerzeugnisse, jede Menge Milchprodukte) ist mein Konsum tierischer Produkte gewiss auf ca. 1 – 3% zurück gegangen. Und darüber freue ich mich!
3. September 2012 um 23:46
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Entwicklung! Und 2 Jahre sind spektakulär, ich habe viel länger dazu gebraucht. Auch bei mir stieg der Käsekonsum anfangs dramatisch an :( Ich bin schon gespannt auf das Buch …
4. September 2012 um 12:44
Danke!!! Mir ist durchaus klar, dass meine Herangehensweise keine Gnade vor den Augen der 150%igen findet – umso mehr freu ich mich über deinen anerkennenden Kommentar! :-)
Die langsame Entwicklung ist übrigens nach einer neueren Studie die nachhaltigere:
Wer bleibt Veganer und wer bricht ab?
Zitat:
„Durchaus überraschend ist der Befund, dass diejenigen, die die konsumeinschränkende Lebensweise nicht aufrechterhielten, oftmals damals ganz plötzlich den Konsumverezicht umsetzten, beispielsweise als Resultat eines besonderen Ereignissses, wie eines Filmes, den sie sahen. Demgegenüber neigten diejenigen, die die Konsumeinschränkung forsetzten, eher am Anfang zu einem graduellen Verzicht auf Tierprodukte, oftmals beginnnend mit einer ovo lacto vegetarischen Lebensweise, die sich erst später zum praktizierten Veganismus entwickelte.“
Pingback: Vegan essen in Friedrichshain: Besuch im Yoyo
12. September 2012 um 21:11
Die Hauptsache ist doch die Reduktion von tierischen Produkten.
Wieviele Leben Fleisch, Eier, Käse, Milch kosten sieht man in der Grafik im folgenden Bericht:
http://vebu.de/tiere-a-ethik/tiere-und-tierhaltung/1013-wie-viel-tod-steckt-in-tierischen-produkten
Käse ist also relativ harmlos im Vergleich zu Fleisch u. Eiern.
Für Milch gibts mit Sojamilch allerdings ein sehr gutes Ersatzprodukt u. Käse auf Pizza/Lasagne/Spätzle kann sehr gut mit z.B. dem Wilmersburger Pizzaschmelz ersetzt werden.
22. September 2012 um 23:55
Liebe Claudia,
Glückwunsch (und, ach wie schnell vergeht die Zeit).
Ich möchte mich dem letzeten Kommentar anschließen
„Die Hauptsache ist doch die Reduktion von tierischen Produkten.“
Ich bin ja noch in Verhältnissen aufgewachsen, die so waren, dass man noch mir dem Tier auf Augenhöhe aufgewachsen ist, die Milch vom Bauern in der Milchkanne geholt hat, und Hühner hatten wir selbst. Die gaben jeden Rag ein Ei, oder alle 2 Tage eins. Waren nicht alle glücklich, aber hatten alle täglich ihren Auslauf.
Fleisch, Schinken, Schmalz gab es „selbstverständlich“ auch, das Meiste aus Hausschlachtung, qualitativ vom heutigen Standpunkt asu 1A, sozusagen slow food.
Diese idyllischen Verhältnisse samt „Bauerngarten“ sind passé.
Die frühesten Erinnerungsspuren sind die tiefsten, aber die Verhältnisse haben sich geändert. Der Verstand sagt heute auch: Zucker ist Dein Feind. Marmelade ist schlimmer als Quark.
Die indsustrielle Nahrungserzeugung ist der Wahnsinn.
Demgegenüber ist der Aspekt der Tierliebe, auf Fleich zu verzichten, weil das Tier ja auch eine Seele hat, für mich gar nciht mal so im Vorergrund, denn: Dass das Huhn halt irgenwann – selbst wenn ich mich mit ihm ganz nett unterhalten hatte – im Kochtopf landen würde, hatte ich ja gelernt.
Von den Bedingungen, unter denen Tiere Tierwürdig gehalten werden, vestehe ich also viel; und weiß auch, dass beim Fleisch-Einkauf im Supermarkt all deas verdrängt wird.
Kompromisswbildungen sind nicht immer das Schlechteste:
Ich verlange von mir keine „fleischlose Lebensweise“. aber doch, den Fleischkonsumk zu reduzieren.
Das geht auch über die Gewöhnung an Alternativen.
Dazu gehört, sich umzuschauen. Momentan finde ich fermentierte Nahrungsmittel total spannend – nicht nur Käse und Joghurt, sondern vor allem Gemüse, Sauerkraut-Varianten und Kimchi-Varianten – alles, was vergoren ist, sozusagen. Das hat unter ökologischen Aspekten eine ungeheure Bedeutung, weil es Energie spart und einen gesundheitlichen Mehrwert bietet – und ein spannendes Experimentierfeld. Fermentiertes ist der Rohkost verwandt, aber leichter verdaulich, ist „lebendige Nahrung“ und Kultur im weitesten Sinne…
Kürzlich habe ich gelesen, dass wir durchschnittlich 13 Jahre unseres Lebens mit Essen verbringen – ich denke, wenn wir jede einzelne Mahlzeit bewusst enstscheiden, ist schon viel, sehr viel gewonnen. Wäre ich ein Dogmatiker, hätte ich sicher anders kommentiert.
LG
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24. Oktober 2012 um 19:50
Tiere essen hab‘ ich mir auch bestellt :-) Und ich freu mich drauf, wenn ich mal wieder ein bisschen Zeit hab.
28. Januar 2013 um 13:34
Schöner Beitrag! Bei mir hat auch alles mit Jonathan Safran Foer begonnen :)
10. Februar 2013 um 23:24
Hallo Claudia,
hier ein Gruß von einer damaligen Schnupperwochenmitteilnehmerin. Ich bin es nach den veganen Wochen auch erstmal ruhig angegangen. Schon mit sehr wenig Tierischem, aber nicht komplettem Verzicht.
Momentan bin ich 100%ig, was die Ernährung angeht, plötzlich hat es mich gepackt. Mal sehen, was ich zu Ostern mache…
Wie du ja auch mehrmals schriebst, es hat so viel mit Gewohnheit zu tun und auch mit guten Gerichten, die auch mal schnell gehen. Ich war nie die große Fleischköchin, deshalb bin ich jetzt auch nicht die Saitan- und Tofuköchin. Aber ich bin jetzt endlich da angekommen, wo ich schon ganz lange hinwollte. Morgens Getreidebrei oder Müsli und ansonsten gaaanz viel Gemüse und Obst. Nicht (nur) roh, sondern Gerichte aus Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Getreide.
Habe mich von Attila H. inspirieren lassen und weiterprobiert.
Toll, was du alles ausprobiert hast und herzlichen Glückwunsch zu dem Buch zum Blog!
Emma
11. Februar 2013 um 12:14
Hi Emma, danke für deine Meldung bzw. den netten Kommentar!
„Nicht (nur) roh, sondern Gerichte aus Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und Getreide.“ – hach ja, das würde ich auch gerne mehr machen, aber es ist halt aufwändig…. Wenn ich aber z.B. eine Bolognese mit Sojaschnetzeln mache (natürlich auch mit viel geschnippeltem Gemüse), kann ich die in mehreren Portionen einfrieren und hab dann was „auf die Schnelle“…
Werde mir Attilas Rezepte auch mal genauer ansehen, danke für den Anstoß!
7. September 2014 um 11:19
Liebe Claudia, nun sind es bei Dir also 4 Jahre!
Ich habe im Februar angefangen – zunächst als Experiment a la Attila Hildmann – dann kamen die Informationen (wohl geahnt, aber in dieser Schrecklichkeit nie bewusst gemacht) – und nun leben wir mit kleinen Ausnahmen also vegan. Und das ist auf dem fränkischen Land nicht immer einfach.
Schon komisch, wie das geht – am Anfang habe ich mich bei Einladungen oder offiziellen Dinners geniert und Fleisch gegessen. Dann kam die Ausrede meiner vermeintlichen „Eiweiss-Allergie“. Mittlerweile bin ich ziemlich entspannt, halte keine Vorträge und lasse mich auch nicht mehr bequatschen (näheres Familienumfeld ist dabei natürlich ausgenommen). Und siehe da … immer mehr Menschen beschäftigen sich mit dem Thema, ehemals fleisches-lustige Hobbyköche bieten (noch etwas verschämt) zumindest vegetarische Menues an ..geht doch!
Ach ja, und Dein wunderbares Buch habe ich in Erlangen in einem Buchladen gelesen (bei einem Soja-Cappuccino und veganem Kuchen), während meine krebs-kranke Freundin ihre Chemo durchlitt. Sie soll übrigens viel „gesunde Milchprodukte“ zu sich nehmen, das gibt Kraft. Denkt da keiner???
Und jetzt hat meine 84jährige Mama das Buch und stöbert vielleicht auch gerade im Internet und gruselt sich …
Und ich werde jetzt kochen (denn, hurra, es ist Sonntag, und ich habe Zeit – koche allerdings als Berufstätige auch immer abends vor): Es wird heute geben:
Rote Beete-Süppchen mit Mango-Sahne-Püree
Lauwarmer Kartoffel-Bohnen-Salat (ich habe einen Kartoffelbauern entdeckt, der alte Sorten anbaut, so schlecht ist das Landleben denn doch nicht!)
Käsekuchen mit Heidelbeeren
Und für morgen habe ich eine Menge Kichererbsen eingeweicht und gekocht … :-)
Danke für alle Anregungen und guten Gedanken – die Kraft sei mit Euch.
8. September 2014 um 20:25
Hallo Barbara,
danke für diesen lieben Kommentar! Freut mich natürlich, wenn jemand mit dem Buch was anfangen kann. Mit Kichererbsen möcht ich gerne auch mehr experimentieren, die schmecken ja schon aus der Dose gut. Aber irgendwie ist es nicht einfach, sie ins Alltägliche einzubauen…