Ganz spontan hatte ich mich kürzlich zu den „Veganen Schnupperwochen“ angemeldet. Zwei Wochen vegan leben und dazu jede Menge Infos, Vorträge, Diskussionen, Verkostungen – nur die Wochenenden sind „Pflicht“, ansonsten kann man sich nach Lust und Laune an weiteren gemeinsamen Aktivitäten beteiligen.
Die „unverbissene“ Herangehensweise der Leute vom Tierrechtsbündnis Berlin-Vegan ist mir sehr sympathisch: man soll ausprobieren, testen, sich informieren, doch muss man sich nicht verpflichten (bzw. von sich behaupten), danach auch wirklich Voll-Veganer zu werden bzw. zu bleiben. Für meine Reise ins vegetarisch-vegane Universum genau richtig!
Tja, zwar hatte ich die Erlaubnis, Fotos zu machen, doch war der Raum recht dunkel und die meisten Bilder sind unverwendbar – außer dem oben, das drei der netten Menschen zeigt, die uns (ca. 20 Teilnehmer/innen, einige mit Kindern) in die Feinheiten des veganen Lebens und Denkens einweihten.
Es ist, abgesehen von der VeggieWorld 2011, die erste „offizielle“ Veranstaltung im veganen Kontext, die ich (leibhaftig, physisch) besuche. Bis jetzt gefällt es mir sehr gut: alle Organisatoren, Redner/innen, Ini-Mitglieder und Mitveranstalter unterscheiden sich wohltuend vom abschreckenden Bild des „militanten Veganers“, das man so im Kopf hat (ich schenke mir jetzt mal die Spekulationen, woher das eigentlich kommt).
Begrüßung, gute Stimmung, tolles Essen
Der Tag begann mit einer Begrüßung, einigen Infos über die Veranstalter (neben Berlin-Vegan ist das der VEBU, die Albert Schweitzer-Stiftung und VEGANZ, „der erste vegane Vollsortiment-Supermarkt Europas“) und allerlei organisatorischen Ankündigungen.
Einige Teilnehmer/innen wurden währenddessen noch mit bestelltem Espresso macchiato und Milchkaffee versorgt: wahlweise mit Sojamilch, Soja-Reis-Milch, Hafermilch und… war da noch was? Bis jetzt hab‘ ich mich grade mal an Sojamilch gewöhnt, deren Geschmacksvielfalt (von bohnig-herb bis fast Vanille-Soße) auch schon eine Forschungsphase erforderte. Die anderen „Alternativen“ hatte ich nach kurzem Probieren als „sehr gewöhnungsbedürftig“ verworfen, doch schon Tag 1 der Schnupperwoche macht mich geneigt, es nochmal zu versuchen: Schließlich hab‘ ich jetzt gesehen, dass reale Menschen all das freiwillig und mit Genuss konsumieren! :-)
Mit „erstmal genießen“ ging es auch gleich weiter: eine Mittagspause mit köstlichem veganen Buffet, hergestellt und gereicht von den Leuten vom VEGANZ in mehr als ausreichender Menge! Appetitliche Wraps, vegane Pizza, Rohkost mit interessanten Dips, gebratene Bällchen aus irgendwas, Salate, Obst – und auch ein schokoladig-fruchtiger Nachtisch fehlte nicht.
Tierrechts-Ethik und ökologische Aspekte des Massenfleischkonsums
Als wir uns dann – gesättigt, aber nicht belastet, wie üblich bei pflanzlicher Kost – wieder als aufnahmebereites Publikum auf den Stühlen einfanden, folgte ein mittelschwerer Ethik-Vortrag über die Philosophie-Geschichte der Tierrechte. Dazu soll es noch Material per Mail geben, vielleicht schreibe ich dann mal einen extra Beitrag dazu.
Es hat mich nicht gelangweilt, doch hat der intellektuelle Streit um eine Herleitung und Begründung von Tierrechten faktisch nichts mit meiner persönlichen Motivation zu tun. Rechte hin, Rechte her, mir reichen schon die krassen Videos aus den Massentierhaltungen, die ganze fabrikhafte Umgehensweise mit unseren „Nutztieren“, die Degradierung fühlender Wesen zu bloßem Produktionsmaterial, dessen Heranwachsen in Kilos gemessen und „optimiert“ wird. Damit muss einfach mal Schluss sein – zumindest will ich dabei nicht mehr mitmachen!
Zu dieser aus Mitgefühl entstandenen Abscheu gesellt sich bei mir lange schon das Umwelt-bewegte Motiv. Der folgende Vortrag über die drastischen ökologischen Probleme der „Fleischproduktion“ sagte mir also im Prinzip nichts Neues, doch angesichts der Zusammenfassung all der drastischen Folgen (Gülle-Problem, Methan, Landschaftsverbrauch, Co2, Wasser….) wurde mir wieder mal so richtig deutlich, wie verrückt es ist, dass unsere Politik diesen Umtrieb immer noch weiter fördert. Auch DAS muss ein Ende haben!
Vegane Alltagsstrategien
Auf Theorie und Information folgte nun Lebensweltlicheres: Wie verhält man sich beim Essen gehen mit Freunden oder Geschäftspartnern? Wie lebt es sich als Veganer mit „omnivoren“ Mitbewohnern? Wie ist es mit Kindern? Was macht man mit Haustieren? Aus diesen und weiteren Konflikt-Feldern veganen Lebens berichteten nun sechs Leute, die das schon länger praktizieren – eigentlich durchweg positiv. Was nicht wundert, denn ihre Berichte zeigten, wie sensibel sie die Situation der Fleisch-Essenden wahrnehmen und sich darum bemühen, Ängste und Feindseligkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen, bzw. zu zerstreuen. Die Rolle des „fleisch gewordenen Vorwurfs“, die ja auf Veganer projiziert wird, ohne dass sie überhaupt schon etwas gesagt hätten, nehmen sie nicht an. Sondern zeigen sich tolerant, bei Interesse freundlich informierend, von sich sprechend, mit gutem Essen überzeugend – und damit ganz anders, als viele Noch-Fleisch-Esser denken.
Vegane Produktwelten
Bezüglich der „Alltagsstrategien“ hätten wohl alle gerne mehr Zeit gehabt, um die einzelnen Themen zu vertiefen, doch die fortgeschrittene Stunde ließ das nicht zu. Es fehlte noch die Vorstellung der vielerlei veganen Produkte, die in den letzten Jahren deutlich mehr geworden sind. Man kann mittlerweile auch „Pudding-Veganer“ werden und sich ausschließlich von Fertigprodukten ernähren. Gut, dass auch die Fleisch-Alternativen vorgestellt wurden, die viele Menschen zum kreativen Kochen inspirieren.
Bei der Warenkunde kamen dann auch all die nicht gleich erkennbaren un-veganen Bestandteile diverser herkömmlicher Produkte zur Sprache. Ein großes Thema, bei dem ich mir noch nicht sicher bin, ob ich – nach den Schnupperwochen – darauf wirklich verstärkt achten will. Mir scheint, an der Stelle schleicht sich so ein Verlangen nach „persönlicher Reinheit vom Bösen“ ein, die ich nicht unbedingt teile. Diese „Spuren von..“, der Kleber auf dem Etikett, oder auch die Gelatine zum Klären von Saft und Wein: würde der Fleischkonsum drastisch sinken, würde doch wohl niemand Kühe halten, um Gelatine zu produzieren – oder?
Andrerseits ist es natürlich GUT, wenn Leute an die Hersteller schreiben und sich erkundigen, ob dies oder jenes Produkt etwas Tierisches enthält oder bei der Produktion damit in Kontakt kam. Das bringt die immerhin hier und da ins Grübeln, ob man nicht zugunsten neuer Käuferkreise mal was weglassen könnte, was es oft genug ja gar nicht braucht.
VEGANZ kommt nach Friedrichshain
Wie sehr man sich in diese Problematik vertiefen muss, hängt im übrigen ganz praktisch von den Einkaufsgelegenheiten ab, die sich so im persönlichen Umkreis finden. Zu meinem Glück wird das VEGANZ im Juni eine Filiale in Friedrichshain eröffnen, zehn Fußminuten von mir – toll! Dort wird es die ganze Palette veganer Produkte aus vielen Ländern geben, die ich heute schon bewundern konnte. Die ganze Gruppe fiel nämlich zum Ende des Tages in den Supermarkt ein, wo ich mir Käse- und Wurstsorten empfehlen ließ – von Leuten, die sie jeweils schon gekostet hatten und für gut befanden. (Wer auch schon sündhaft teure vegane Käse wegen Ungenießbarkeit in die Tonne geklopft hat, weiß, warum ich diese Gelegenheit dankbar ergriff!).
Um 50 Euro ärmer verließ ich mit einer großen, mit veganem Dies-und-das gut gefüllten Papiertüte den Laden und machte mich auf den Heimweg. Zurück zur Schönhauser Allee, rein in die S-Bahn. Zwei Stationen weiter setzte sich ein junger Mann neben mich und begann, ein Plastik-Pack mit irgendwelchen Hühner- oder Schweinefleisch-„Nuggets“ zu öffnen und eilig in sich ‚rein zu stopfen. Dem Plastik entströmte so ein typischer Junkfood-Geruch… zum ersten Mal im Leben bin ich aus einem solchen Grund aufgestanden und hab‘ mich weggesetzt.
Man sieht, die Schnupperwochen wirken. :-)
26. Februar 2012 um 11:35
Toller Bericht! Ich habe ihn mal auf unserer Facebookseite von Kochen ohne Knochen verlinkt.
26. Februar 2012 um 15:37
man ist gespannt wies weitergeht ;)
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4. März 2012 um 19:30
Hallo Claudia,
ich halte es mit den Inhaltsstoffen ähnlich wie du. Ich lebe seit über einem Jahr vegetarisch und seit einigen Monaten überwiegend vegan. Ich habe mich dazu entschieden, noch Produkte zu konsumieren, die geringe Megen an Ei oder Milch enthalten. Ich weiß, dass ich noch viel konsequenter sein könnte aber mit dem derzeitigen Kompromiss kann ich recht gut leben. Wenn ich zwischen einer Bitterschokolade und einer Milchschokolade wählen kann nehme ich die ohne Milch aber wenn ich Kekse kaufe und ein wenig Milchpulver enthalten ist greife ich trotzdem schonmal zu, wenn sich gerade keine zumutbare Alternative anbietet.
Mit dieser überwiegend veganen Ernährung ist schon eine Menge getan und bei vielem ist der Anteil an tierlichen Produkten verschwindend gering. Die Tierhaltung wird bei Anteilen von 2 % im Endprodukt nicht groß expandieren.
Was mir (und da bin ich nicht der einizge) bis heute schwerfällt, ist das Thema Käse. Ein Brötchen damit und vor allem Gerichte mit Fetakäse sind einfach extrem lecker. Inzwischen habe ich aber durch das Internet so viele vegane Gerichte kennengelernt, dass der Verzicht immer leichter fällt. Ich probiere ständig neues aus und bin immer wieder überrascht von der Kreativität der veganen Küche. Auf mein Brötchen kommen heutzutage Leberwurst und Mett, leckere andere Aufstriche oder süßes – alles ohne Tier.
Auf Aufläufe und Pizzen der Wilmersburger Pizzaschmelz, bei vielem braucht man einfach keinen Käse. Man eben nicht alles ersetzen und das muss man auch nicht.
Viel Glück und Freude bei deiner zunehmend veganen Ernährung.
Florian
9. März 2012 um 14:31
Hallo,
bin selber viele Jahre Vegetarier gewesen – esse aber auch zur Zeit nur sehr wenig Fleisch.
Die Wiedereinstiegsdroge zum Fleischesser war bei mir damals die gute alte Roulade.
Ich ziehe gut gemachtes und richtig leckeres Essen auf jeden Fall vor.
Bei all dem Veganen Fertiggerichten sollte man aber ein wenig aufpassen, da sich darin ganz oft jede Menge Gluten verstecken.
Ganz besonders Lecker sind zum Beispiel Lotuswurzelkroketten. Das Rezept dazu findet ihr im Makrobiotischen Kochbuch von Cornellia Aihara.
Ist allerdings nur eingeschränkt für Kochanfänger geeignet
Viel lieb &
Gruß aus
delmenhorst
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